Die Zahl der Ungerechtigkeiten auf der Welt scheint so unermesslich, dass man sich manchmal davon erschlagen fühlt. Gerade Geld spielt dabei eine unverständlich essentielle Rolle. Was tun? Eine Auseinandersetzung mit Revolutionismus vs Gleichgültigkeit.
Ich sitze gerade in einem Starbucks in Köln (fragt mich nicht, wie ich hier hergekommen bin) und genieße einen überteuerten Filterkaffee (der sich by the way nicht mal im geringsten mit dem vom Süß+Salzig messen kann) um den amerikanischen Multikonzern zu unterstützen. Davor habe ich natürlich dem Kölner Dom einen Besuch abgestattet. Um den Weltkonzern „Katholische Kirche“ zu unterstützen. Wenn ich schon mal hier bin. Sonntag Vormittag. Es war gerade Messe und der gelangweilt klingende Pfarrer hat irgendwelchen Kindern Fragen zur Nächstenliebe gestellt. Wieso man anderen Menschen helfen sollte zum Beispiel. „Selbst wenn du vielleicht gerade keine Lust hast deinem Schulnachbar zu helfen, solltest du es trotzdem tun, denn er wird dir dankbar sein.“ Ja. Die Kirche ist DIE soziale Einrichtung schlechthin. Hilft jedem. Vor allem sich selbst. Ja, sich selbst zu helfen ist auch sehr wichtig. Helfe zu erst dir selbst, sonst kannst du niemand anderem Hilfe leisten. „Wären die Kirchen Konzerne, zählten sie wohl zu den größten Unternehmen des Landes.“, so Tobias Romberg in seinem ZEIT-Artikel „Konzern Kirche“ vom 6. Oktober 2011. „Im Jahr 2010 war Volkswagen mit 126,9 Milliarden Euro der umsatzstärkste Konzern im Deutschen Aktienindex. Die Kirchen spielen in einer ähnlichen Liga. Friedrich Schwarz benannte 2005 in seinem Buch Wirtschaftsimperium Kirche – der mächtigste Konzern Deutschlands für beide deutsche Kirchen zusammen einen Gesamtumsatz von mehr als 125 Milliarden Euro, ihr Vermögen bezifferte er auf 500 Milliarden Euro.“ Nun gut, die VW-Umsatzzahlen sind seit dem Abgas-Debakel inzwischen wohl veraltet. Die Kirche jedoch überspielt gekonnt jeden Skandal.
Das Geschäft mit dem Glauben
Trotz der von Papst Franziskus 2014 eingesetzten Kinderschutzkommission sind die Zahl der in Rom gemeldeten Missbrauchsfällen in den ersten drei Amtsjahren des Papstes auf 1200 gestiegen. Ein Grund dafür könnte natürlich sein, dass durch die zahlreichen ans Licht der Öffentlichkeit gebrachten Skandale auch die Anzeigebereitschaft gestiegen ist. Doch tatsächlich ist die Arbeit jener Kinderschutzkommission, die sowieso nur beratende Funktion hat, äußerst verbesserungswürdig bis gar lächerlich. Nur drei- oder viermal haben sich die Mitglieder überhaupt getroffen. Und haben es noch nicht einmal geschafft, eine verpflichtende Anzeige bei Missbrauchsverdacht durchzusetzen. Paradoxerweise wurde sogar ein Mitglied der Kommission bereits beurlaubt, da er den mächtigen Kurienkardinal George Pell der Vertuschung bezichtigt hat. Dieser freut sich weiterhin größter Beliebtheit und bekleidet weiter sehr wichtige Posten. Und das sogar nach dem schockierenden Fall der Familie Foster aus dem australischen Bundesstaat Victoria. Beide Töchter wurden Anfang der Neunzigerjahre Opfer eines Missbrauchstäters und zerbrachen an dem Trauma. Der damalige Erzbischof Pell hatte ein Treffen mit der Familie zunächst verweigert. Später soll er eine Entschädigung von umgerechnet 30.000 Euro angeboten haben, mit dem Hinweis: „Wenn Ihnen nicht gefällt, was wir tun, können Sie uns ja verklagen.“ Die Fosters nahmen das Geld an, bekamen später in einem Zivilprozess rund 533.000 Euro zugesprochen. Die Kirche hatte sich zuvor noch erfolgreich gegen solche Rechtsansprüche versichert und musste die Summe noch nicht einmal selbst berappen. Laut Berechnungen machten im Jahre 2013 die Entschädigungszahlungen der Diözese Melbourne gerade einmal 0,7 Prozent deren Gesamtvermögens aus.
Wie war das nochmal mit der Gerechtigkeit?
Was den Fall Dieselgate betrifft, belaufen sich die Kosten für VW schätzungsweise auf bis zu 30 Milliarden Euro. Und nicht nur finanziell muss der Autokonzern seinen Pfusch teuer bezahlen: Die US-Justiz hat nun fünf frühere Manager und Entwickler von Volkswagen weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Ziel der US-Behörden ist es, die in den USA Beschuldigten zu fassen und hinter Gitter zu bringen. (SZ, 22. Juni 2017).
Auch Google hat eine Klage am Hals.
Mitleid sollen diese Zahlen keineswegs wecken. Vielmehr soll dieser Vergleich zeigen, welch pervers wichtige Rolle Geld spielt. Zahlreiche unabhängige Kartelle und Institute sind für die Überwachung der Finanzwirtschaft verantwortlich. Die Kirche hingegen kontrolliert sich selbst. Klar wäscht sich auch Politik und Wirtschaft gegenseitig die Hände, das will ich gar nicht bestreiten. Doch wenn Menschen wegen eines vergleichsweise absurden Betrugs eingesperrt werden, und andererseits zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs meist verjähren oder gekonnt unter den Teppich gekehrt werden – die Täter von der Kirche meist einfach nur „beurlaubt“ werden – dann liegt da für mich ein eindeutiges Ungleichgewicht vor. Gerechtigkeit hat die Welt schon lange nicht mehr gesehen.
Was kann Kunst?
Die Zahl der Ungerechtigkeiten auf der Welt ist unermesslich. Oft fühle ich mich davon erschlagen. Möchte mir einfach nur eine Hütte im transsilvanischen Wald bauen und fortan als Einsiedler leben. Mich lieber mit Eichhörnchen und Regenwürmern unterhalten. Und Bäumen. Bäume haben viele schöne Geschichten zu erzählen. Und sind so krass sozial. Spenden Schutz vor Sonne, Wind und Regen. Geben uns Sauerstoff und verbessern die Luftqualität. Sind Zuhause für zahlreiche Tierarten. Und peppen jeden kahlen Landstrich und jede graue Häuserwüste auf. Was habe ich in meinem letzten Leben verbrochen, dass ich als Mensch wiedergeboren wurde?
Mein letzter Artikel handelte über Kunst. Dass das Scheitern meines Weltverbesserer-daseins in Gleichgültigkeit und schließlich in Kunst endete. Ist das schlecht? Eine Rückentwicklung? Sollte man nicht vehement weiterkämpfen? Kunst ist ja nicht der Ausdruck von Gleichgültigkeit. Vielmehr ist Kunst ein gewaltloser Versuch Missstände aufzuzeigen. Gleichzeitig kann Kunst aber auch gefährlich werden, wenn sie Missstände zu sehr beschönt. Zu sehr abstrahiert. Es ist ein schmaler Grad. Kann Kunst also wirklich Dinge verändern? Vielleicht nicht auf direktem Wege. Doch ganz bestimmt zwischen den Zeilen. Kunst beruhigt. Kunst ist Mediator. Kunst hebt Hierarchien auf. Kunst bringt Menschen zusammen. Kunst bringt mehr Liebe in die Menschheit.
Seid mehr Kunst. Bitte. Danke.
Quellen:
„Konzern Kirche“, Zeit-Online Artikel über die aktuelle Finanzlage der katholischen Kirche, 6.10.2011
Spiegel-Online Interview mit Vatileaks-Enthüller Emiliano Fittipaldi
US-Justiz fahndet nach Ex-VW-Managern, Autobild, 22.6.2017
Starkes Grün in der Stadt – was Bäume alles können, Arboristik.de, 12.4.2016