„Wie komme ich nach Dohlen?“
„Ich kann Ihnen darüber leider keine Auskunft geben, da es sich auf der Strecke um einen Notarzteinsatz handelt.“
„Aber wie soll ich denn jetzt nach Dohlen kommen?“
„Leider kann ich Ihnen dazu zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts sagen. Es fahren ab Wurzen Schienenersatzbusse. Weitere Informationen haben wir auch noch nicht“
„Aber ich muss nach Dohlen auf die Arbeit. Sagen Sie mir einfach wie ich dort hinkomme.“ (leicht agressiver Ton)
„Ich kann das Ihnen jetzt auch nicht sagen.“ (Mimik unverändert).
„Ich muss nach Dohlen, ich kenne mich hier nicht aus, wie soll ich denn jetzt da hinkommen?“ (erhöhter agressiver Ton).
„Auf meinem Display steht auch nichts anderes als das was auf den öffentlichen Displays steht. Auf dem Gleis ist ein Personenverkehrsunfall, die Züge sind schon die ganze Früh ausgefallen.“ (passt sich dem agressiven Ton der Kundin an).
Ich schalte mich dem Gespräch mit ein: „Entschuldigen Sie, ich muss nach Chemnitz über die gleiche Strecke. Im Internet steht, dass Busse fahren, wie komme ich denn am besten bis Wurzen?“
„Sie können evtl mit der S4 bis Wurzen.“ (neutraler Tonfall).
Dame neben mir: „Schreiben Sie mir bitte einfach auf wie ich nach Dohlen komme, ich kenn mich hier nicht aus, ich muss auf die Arbeit. Irgendwie muss ich doch dort hinkommen.“ (sehr agressiver Tonfall).
Ich ignoriere sie und frage: „Ok und wo fährt die S4 ab?“
„Auf Gleis 1, da hinten die Treppe runter.“
„Ok und wann fährt die nächste?“,
„um 8:34“
Die andere Frau geht ohne einen weiteren Kommentar in Richtung S-Bahn.
Ich: „Vielen Dank“.
Denn sie denken nicht, dass sie das denken – Denn sie denken nicht das was sie denken
Die Kommunikation dieser zwei weiblichen Wesen war erheiternd und traurig zugleich. Mich würde interessieren, wie lange die beiden dieses Katz-und-Maus Spiel weitergetrieben hätten, hätte ich nicht dazwischengefunkt.
Menschen haben verlernt zu kommunizieren. Beziehungsweise haben es nie gelernt. Die Art der Kommunikation mit Worten wurde von der Spezies Mensch erfunden. Wieso weiß ich nicht genau. Nicht jede Erfindung macht Sinn. Die Worte und ich, das ist so eine Hassliebe. Liebe, weil es eine wunderschöne Kunstform für mich ist. Hass, weil Kommunikation durch Worte mit den meisten Menschen sehr kompliziert ist. Denn sie sagen oft nicht das was sie denken. Oder denken erst gar nicht darüber nach was sie WIRKLICH denken. Was sie fühlen.
Notfallventil Wort
Worte werden bei den meisten nur als Notfallventil benutzt. Wohlüberlegte Worte können nur dann entstehen, wenn Menschen auf ihre Gefühle hören und sie zulassen. Denn dann brauchen diese Gefühle gar kein Notfallventil. Wenn Menschen aggressiv werden, ist das oft nur ein Synonym von Verzweiflung oder Ratlosigkeit. Aber Verzweiflung und Ratlosigkeit sind nicht sexy und selbstbewusst. Aggressivität irgendwie schon eher. Diese seit Jahrhunderten anhaltende Modeerscheinung sollte man mal ändern. Was sagt man zu jemandem der sich aggressiv benimmt? Abwehr durch Gegenwehr ist für mich persönlich die beste Maßnahme. Einfach mal stehen bleiben, anbrüllen lassen, warten bis das Gegenüber fertig ist, „Ok“ sagen und gehen. Denn Aggressivität steht auf der hierarchischen Rangordnung der Gefühle ganz weit oben und lässt sich da nicht so schnell runterschubsen. Außer wenn sie keinen Gegenspieler findet. Dann kann sie erstmal Feierabend machen, die Aggressivität.
Wie wäre es wenn mal einen Tag lang Worte als Kommunikationsform außer Acht gelassen werden? Einen globalen Schweigetag. Das wäre es doch. Vipassanas, also 10-tägige buddhistische Schweigeretreats liegen ja gerade im Trend. Vielleicht der erste Schritt, dieser Modeerscheinung eine Gegenwende zu setzen?