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All das, meine stete Transformation, also meine ununterbrochene Veränderung meiner Gestalt, war unter anderem eine Methode um zu überprüfen, ob das, was IST, SEIN darf. Als Kind, aber auch oft als Jugendlicher tun wir viele Dinge ohne sie zu hinterfragen. Vieles davon mag unserem ursprünglichen Wesen entspringen, anderes davon ist aus Einflüssen entstanden. Doch ganz egal woher es kommt: Wir tun es einfach.
Eines davon ist Unterdrückung. Wenn unsere Seele irgendwann nicht mehr weiß, wie sie sich Gehör verschaffen kann, wie sie das bekommt, was sie braucht, sucht sie sich einen anderen Weg. Einen Plan B. Oder irgendwann auch Plan Z. Dann hegen wir Emotionen, ohne zu wissen woher sie rühren. Hegen Gedanken, ohne zu wissen wie sie entstehen. Wir schämen uns, hassen uns, verurteilen uns. Schmücken uns mit Schichten, zusammengewebt aus all den Ersatzplänen. Wer näht denn diese Schichten? Etwa unterernährte Kinder in Bangladesch? Oder der Schneider auf der Hafenstraße? Eventuell sind wir verzweifelt über unser Unwissen. Unser Unwissen über die Welt. Und über uns selbst. Sind verzweifelt darüber, dass wir einfach so sind wie wir sind und nicht wissen WIESO wir so sind wie wir sind.
Bestenfalls können wir irgendwann dieser Frage nicht mehr entfliehen. Wir stellen die Frage aller Fragen: „Wieso?“. Und da wir keine Antwort wissen, wollen wir Veränderung. Wollen wir einen Leitfaden. Finden diesen Faden. Vorzugsweise hängt er da so runter, aus einer dieser Schichten. „Na toll, doch ein Billigteil aus Bangladesch.“ Verärgert ziehen wir an dem Faden. Schneiden ihn ab. Um den Rest dann wieder mit einem anderen Faden zu verknoten. Aber es macht alles irgendwie keinen Sinn. Dieses Verknoten und Zerschneiden. Es hält einfach irgendwann nicht mehr. Es löst sich auf. Alles droht sich aufzulösen. Uns wird kalt. Eigentlich wollen wir doch nur einen einzigen Faden. Mit EINEM Anfang und EINEM Ende. Wir wollen geleitet werden. Wir wollen nicht ständig diese Frage fragen. Diese Frage nach dem WIESO. Wir wollen nicht ständig überprüfen ob das was wir machen zu uns gehört. Wir wollen einfach irgendwas machen und wissen, dass diese Tat zu einem bestimmten Ergebnis führt. Doch letztendlich können wir nie hundertprozentig sicher sein, dass ein bestimmter Vorgang zu einem bestimmtem Ergebnis führt. Und DAS wissen wir. HUNDERTPROZENTIG. Und das macht uns verrückt. Leben in ständiger Unsicherheit. Doch wir unterdrücken es. Schließen eine Lebensversicherung ab. Gehen weiter den Faden entlang. Überprüfen den Faden, überprüfen uns, ob wir so sein dürfen wie wir sind. Überprüfen andere, ob sie so sein dürfen wie sie sind. Verurteilen uns, verurteilen andere.
Und irgendwann, nach all dem Urteilen, Zweifeln, Meckern, an sich arbeiten, an anderen arbeiten – nach all diesen Überprüfungsmechanismen, um sicher zu gehen, dass etwas so sein darf, wie es ist – was bleibt da noch? Resignation? Tiefe Verzweiflung, dass man es nie ganz und gar wissen wird? Oder Freude darüber, dass wir zumindest unser Unwissen wissen. Und alles einfach so sein darf wie es jetzt gerade ist. Und auch wenn es der derzeit schönste Zustand ist, den etwas oder jemand einnehmen kann, es sich trotzdem jederzeit verändern darf.
Ja verdammt, ich darf traurig sein, ohne den blassen Schimmer zu haben WIESO. Ja verdammt, ich darf sogar verzweifelt sein, ohne zu wissen, WARUM. Und ganz sicher darf ich auch wütend sein, ohne zu wissen, auf was oder wen. Und ich darf auch Scham empfinden. Einfach so. Ich darf unsicher sein, ohne zu erklären, was mich unsicher macht. Und darf ich denn dann auch glücklich sein, ohne zu wissen woher mein Glück herrührt? Und darf ich dann noch fragend sein? Hinterfragend, vorderfragend, erfragend, nachfragend, vorfragend, befragend, ausfragend, zerfragend. Ja. Ich darf. Ja. Ich darf. Und darf ich denn überhaupt dürfen? Ja. Du darfst dürfen. Ja, du darfst bedürftig sein.
Denn wenn ich einfach nur SEIN darf, dann WEIß ich. Dann bin ich weiße. SEIN ist Leichtigkeit. Ja fast Schwerelosigkeit. Und Schönheit. Universelle Schönheit. Und die Schichten, egal ob die aus Bangladesch oder vom Schneider auf der Hafenstraße, auch sie sind schön. Wenn sie SIND. Universell schön. Dann ist der höchste Grad der Schönheit eingetreten, den etwas oder jemand einnehmen kann. Dann wird es oder er oder sie von dir gehen. Und ein weiteres Stück deiner Schönheit enthüllen.
Denn wenn wir all das wüssten, ja schon das Ende eines jeden Anfangs erblicken, dann würde der Zauberer nichts mehr enthüllen können. Dann wäre da kein Zauber mehr. Dann wäre da kein Erleben mehr. Dann wäre da kein LEBEN mehr.
Also. Zaubere.