Spätestens seit meinem Kinobesuch im neuen Joker ist mir dieser Text ein großes Anliegen. Gleichzeitig sind da Wiederstände. Wiederstände, die aus der Angst produziert sind, dass das Ausformulieren dieser Gedanken noch einige neue Schattenseiten meines eigenen Humors aufzeigen wird. Na dann mal ran an den Speck.
Humor ist ein großartiges Werkzeug. Wir können durch Humor
sehr schnell Verbundenheit zu anderen Menschen herstellen. Lachen verbindet.
Wir können uns aus unserem eigenen alltäglichen Drama rausholen, indem wir über
uns selbst lachen. Über unsere Schusseligkeit, unsere übertriebene
Ängstlichkeit, die uns daran hindert neue bereichernde Erfahrungen zu machen.
Humor kann oft ein Schlüssel zu unserer Kreativität sein, denn er „zwingt“ uns,
aus unserem starren Leidwesen herauszutreten und wieder beweglich zu werden.
Die neugewonnene Beweglichkeit ist nicht zuletzt der besonderen Atmung
geschuldet, die wir während des Lachens einnehmen.
Beim Ausatmen werden mehrere kleine Stöße ausgeführt, die zügig hintereinander
folgen. Eingeatmet wird in einem tiefen und etwas schnelleren Zug, diese
Bewegung ist meist kontinuierlich. (Quelle: www.paradisi.de).
Wenn wir davor, wie es die meisten zivilisierten Menschen im Alltag tun, sehr
flach geatmet haben, versorgt uns diese Atmung mit neuem Sauerstoff und macht
uns wacher.
Diese positive Beeinflussung der Atmung ist laut…….gesundheitsfördernd. Viele
verbreitete Beschwerden können dabei günstig beeinflusst werden. Die oberen
Luftwege werden, ähnlich wie beim Husten, von störenden Sekreten befreit. Der
Gasaustausch wird erhöht, so dass unter anderem die Ausscheidung von
Cholesterin gefördert wird. (Quelle: www.tamala-center.de).
Kann Humor krank sein?
Arthur,
alias Joker, leidet unter einer Lachkrankheit, was im Medizinischen auch als
pathologisches Lachen oder Affektinkontinenz bezeichnet wird. Das bedeutet,
dass er buchstäblich Lachen MUSS, also sein Lachen nicht unter Kontrolle hat. Besonders
in Situationen, in denen das Lachen – zumindest gesellschaftlich gesehen –
nicht angemessen ist, tritt dieses zwanghafte Lachen ein. Für einen
Außenstehenden kann dieses Lachen dann auch schnell psychopathisch wirken. Im
Film war für mich kennzeichnend, dass er immer in Situationen in dieses
zwanghafte Lachen kam, in denen in meiner Wahrnehmung eine große
unterschwellige Panik in ihm auftrat.
Diese Panik war für mich deshalb so offensichtlich, da unter diesem hönischen
Lachen sehr deutlich etwas anderes durchschien, das ich als Panik bezeichnen würde.
Wieso aber konnte der Protagonist nicht anders mit seiner Panik umgehen, als in
dieses krankhafte Lachen zu gehen? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es
nicht, jedoch einige interessante Thesen, darunter auch eine rein medizinische
These:
Lachen ist
Medizin
Lacht man in stressigen Situationen (worunter auch Panik gehört), verlangsamt
man den Ausstoß von Adrenalin. Die Muskeln entspannen sich – man sagt, dass
eine Minute Lachen einem 45-minütigen Entspannungstraining gleicht. (Quelle:
www.paradisi.de).
Der Neurologe Fry (1989,1993) stellte in kontrollierten Untersuchungen fest,
dass nach einem ausgiebigen Lachen die körpereigene Hormonproduktion zum einen
gesteigert wird und zum anderen die Zirkulation gewisser Immunsubstanzen für
Stunden erhöht ist. Herzhaftes Lachen übt auf das neurovegetative System eine
Schockwirkung aus, die das gesamte Herz-Kreislauf-System aktiviert. Zunächst
kommt es zu einer Beschleunigung des Herzschlages. Daran schließt sich eine
längere Phase der Entspannung an, die unter der Dominanz des Parasympathicus steht:
Der Herzrhythmus verlangsamt sich und der Blutdruck wird gesenkt. Walsh hatte
schon im Jahre 1928 angenommen, dass die Widerstandskraft des Organismus gegen
Krankheit sich erhöht, wenn ein Mensch häufig und regelmäßig lacht. (Quelle: www.tamala-center.de). Im späteren
Verlauf des Films erfahren wir, dass Arthur schon als kleines Kind großer
Gewalt ausgesetzt war. Sein Organismus sah das Lachen und seine damit
verbundenen beruhigenden Effekte wohl als den besten Überlebensmechanismus. Arthurs
Körper benutzte also das Lachen nicht nur (oder eben nie) für den eigentlichen
Zweck, also um Freude und Belustigung auszudrücken, sondern um Stress
abzubauen.
Die These aus
einer eher systemischen Sicht wäre diese:
Wie bereits oben erwähnt, war das Lachen für Arthur eine Überlebensstrategie.
Nicht zuletzt übte seine Mutter, die stark psychopathisch war, großen Einfluss
auf die Entwicklung dieser Strategie aus. Sie nannte ihren Sohn nie „Arthur“,
sondern „Happy“ und sagte ihm seit seiner Kindheit: „Du wurdest geboren
um Freude und Glück in die Welt zu bringen.“ Sie, die hoch manipulativ war, sprach damit
unterschwellig also ein Verbot für alle anderen Gefühlslagen aus. So versuchte
Arthur seinen Schmerz, dem er vor allem durch seine Mutter ausgesetzt war, stets
zu unterdrücken und ihn durch Lachen zu ersetzen – aus Liebe zur Mutter – und auch
der Angst, sie zu verlieren, wenn er ihr nicht gehorsam ist. Diese Mischung aus
Liebe und Verlustangst nennt man im Systemischen „Bindungsliebe“. Ein
systemischer Satz könnte lauten: „Liebe Mama, damit es dir nicht schlecht geht
(und du für mich da sein kannst), lache ich für dich statt zu weinen.“
Die Mutter übt durch ihre psychische Krankheit sehr große Dominanz aus und – soweit meine Vermutung – Arthur hat als Kind fast keine Chance, SICH SELBT im Spiegel der Mutter zu erfahren. Er erhält keinen Raum, seine eigene Identität zu entfalten, sondern ist dauernd darum bemüht, dass es der Mutter gut geht. Mit der Zeit lernt er, welche Rollen er spielen muss, damit die Mutter zufrieden ist.
Schau-spiel
als Leugnung der Unsicherheit
Im Kartenspiel wird der Joker meist als „wilde Karte“ eingesetzt, also als
Ersatz für eine beliebige Karte. So mimt auch Arthur im Film den Joker bis zur
Perfektion. Er ist ein Wandlungskünstler, dabei besitzt er selbst keine klare
Identität. Dieser Verzweiflung obliegt er ununterbrochen und versucht ihr zu
entfliehen, indem er sich immer wieder andere Rolle so sehr zu eigen macht,
dass er denkt, diese Rolle wäre er selbst. Als letzten Ausweg aus dieser
Verzweiflung nimmt er den Weg der Gewalt und Mordlust.
Ich
denke, dass wir alle die Gestalt des Jokers in uns kennen. Dass jeder von uns
viele Rollen im Petto hat. Hat eine Rolle mal versagt, sind wir Meister darin,
uns eine neue Rolle auszudenken, dann von der neu errungenen Pseudo-Stabilität
kurz ergriffen sind, doch darunter immer einen Boden der Einsamkeit und Unsicherheit
spüren. Jede Rolle ist eben flüchtig, da jeder Moment flüchtig ist. Sicherheit
ist eine Illusion. Wir möchten das nicht akzeptieren, möchten der Fata Morgana
der Sicherheit hinterherrennen, erschaffen immer wieder neue Sicherheitsformate.
So geht mit diesem Teufelskreis auch ein Drang zur Rebellion einher, der sowohl
autoaggressiv, als auch nach außen wirken kann. Da wir durch das Ausüben von Gewalt
unsere eigene Pseudo-Macht besonders gut spüren, unterliegen wir dieser Gewalt
oftmals als letzte verzweifelte Instanz, die ständige Unsicherheit zu
verheimlichen. So obliegt auch Arthur im Film sehr stark dieser Verzweiflung,
bis zuletzt. Egal ob er am Anfang von allen als Opfer gesehen wird, oder am
Ende von der Menge gefeiert wird, der einsame Kampf um eine Identität besteht
bis zuletzt.
Doch so sehr die rebellierende Verzweiflung bei Arthur Bestand hat – so sehr
drückt seine „I don’t give a fuck“ Mentalität und sein höhnisches Lachen auch
seine Belustigung über die Absurditäten der Gesellschaft aus. Es scheint, als
würde er erkennen, dass viele gesellschaftliche Werte einfach schlichtweg
heuchlerisch und psychisch gewaltvoll sind.
Gibt es eine Identität?
Als
Arthur erfährt, dass durch die Kürzung der staatlichen Sozialhilfeleistungen
seine Psychotherapie nicht weitergeführt werden kann, sagt er zu seiner
Therapeutin: „For my whole life, I didn‘t know if I even existed“, also „Mein
ganzes Leben lang wusste ich nicht, ob ich überhaupt existierte.“ Auch wenn in
diesem Satz die Trauer über die hoffnungslose Suche seiner eigenen Identität
steckt, drückt sie eine große Erkenntnis aus, nämlich, dass so etwas wie eine
feste Identität eigentlich gar nicht existiert. Der Psychologe Heik Portele
schreibt in einem Text über die Gestalttherapie: „Da ist nicht ein Etwas, das
sich verändert, ein Kern-Selbst oder was immer, das Selbst ist Veränderung, das
Selbst hat keine Substanz, nichts, woran man sich halten kann, es ist ein
Nicht-Selbst. Das ist sehr unangenehm. Wir hätten so gern ein Selbst, etwas,
dass das Vergehen übersteht. Deshalb bilden wir einen Charakter aus, das sind
unsere Gewohnheiten. Diese Gewohnheiten beherrschen uns dann, üben Zwang aus,
lassen uns erstarren. Wir verarmen dann uns und die Welt, in dem wir auf das
immer wieder Neue und den Reichtum jeder Situation starr und stereotyp mit
einer Gewohnheit antworten.“
Ich möchte mit diesem Text das blutrünstige Handeln von Joker keineswegs
glorifizieren. Nein, es ist für mich nichts anderes als ein weiterer verzweifelter
Weg, sich selbst eine bedeutungsvolle Identität zu geben. Und gerade aus dieser
Überzeugung kann ich meinem derzeitigen Glaubenssatz nicht entfliehen, dass die
Zumutung unserer eigenen Absurdität uns aus vielen krankhaften Zuständen
herausholen kann – und damit auch viele zwanghafte Übergriffshandlungen
vermeiden kann.
Wir frieren
Denn da ist die Furcht vor der Abnormalität, vor der Krankheit. Nein, wir fürchten uns nicht nur davor, wir sind eigentlich der Überzeugung, dass wir krank sind – und wollen es gleichzeitig nicht sein. Deshalb rennen wir zu Ärzten, Psychologen, Kurse alternativer Heilmethoden gibt es wie Sand am Meer. Wir meditieren, wir prokrastinieren, wir konsumieren, wir masturbieren durch den Konsum unseres kranken Ichs. Und wir frieren. Wir frieren ununterbrochen. Wir versuchen uns am Trunk der schnellen Exstase zu wärmen, statt uns zu entspannen, zusammen mit unserer Furcht. Die is‘ halt einfach da, genauso wie dein linker Arm und dein rechtes Ohr.
Humor ist die Befreiung aus unserem starren Körper
Über
diesen melancholisch-dramatischen Teufelskreis zu lachen, ist für mich derzeit
das Genügsamste, was ich tun kann. Darunter ist halt auch die
Verzweiflung über den Zustand, meinen Zustand, der sich immer wieder der
Illusion der Krankheit hingibt. Dem Spiegel meiner eigenen Krankheit Grimassen
zu schneiden, aus ihm heraus höhnisch zu lachen, wölfisch zu jaulen und
grunzend zu schreien ist für mich ein Entkommen aus meinem starren Körper.
Wenn ich an manchen Abenden in meiner depressiven Gestalt zu versumpfen drohe,
dann äffe ich mich manchmal nach. „Ach, sind wir heute wieder depressiv!“,
„Jaaaa, oh jaaaah, es ist so schön, soooo genüsslich, diese Depression. Sich
einfach gehen lassen, alles stehen zu lassen, komplett der Illusion verfallen
sein, dass man nicht (mehr) kann. Hmmmm herrlich. Und dieses bodenlose Leiden.
Jahrelang einstudiert, bis zur Perfektion.“
So oder so ähnlich sehen dann meine Selbstgespräche aus. Schnell werde ich dann
wieder beweglicher, flüssiger, erhalte wieder einen klareren Blick auf die
Dinge.
De-pression bedeutet nichts anderes als Runterdrücken. Wir drücken etwas, das eigentlich
erlebt werden möchte, wieder runter. Aus welchen Gründen auch immer. Die sind
sehr variabel.
Diese Gewohnheit des depressiven Aktes zu durchbrechen ist nicht leicht. Es fühlt sich halt auch so gemütlich da drin an. Humor ist da ein echtes Wunderwerk. Ein Teufelszeug im wahrsten Sinne. So ertappe ich mich manchmal, dass ich richtig Schiss hab, über mich selbst zu lachen – weil dann ganz schön viel Drama auffliegen würde und ich mich nicht mehr in meiner depressiven Ekstase wälzen könnte.
Was also ist dann der Unsinn von Humor?
Wo
wird Humor hinderlich? Nämlich dann, wenn wir ihn dazu benutzen, etwas
runterzudrücken. Dann wird er zum Werkzeug für die Depression. Faszinierend,
nicht?
Arthur benutzte ihn ja auch irgendwann, um seinen Schmerz nicht fühlen zu
müssen.
Wenn ich nämlich an genau diesen depressiven Abenden meine Selbstironie bis zum
Äußersten treibe, dann kommt auch ganz schnell der Schmerz, der darunter liegt.
Schmerz, der sich alt und verklebt anfühlt. Der wahrscheinlich ein kindlicher
Schmerz ist. Wenn ich dies dann wieder belache, meinen Schmerz in Sarkasmus
packe, dann beschäme ich mich selbst. So zumindest fühlt es sich an.
Und Joker, der lacht und lacht und lacht und lacht – und darunter weint und
weint und weint und weint. Er ist ein hilfloser misshandelter kleiner Junge
gefangen im Körper eines 40-jährigen Mannes.
Humor neu lernen
Gott hat uns Humor, wie alle anderen Emotionen auch, als Verbindungsinstrument zu unserem höheren Selbst geschenkt. Es ist oft traurig zu sehen, wie Humor in der Gesellschaft verschwendet und zweckentfremdet wird. Indem wir nur der Etikette wegen lachen, obwohl wir etwas eigentlich gerade langweilig finden. Indem wir lachen um unsere eigene Unsicherheit zu verdecken. Indem wir lachen um Aufmerksamkeit zu erregen. Indem wir Menschen (auch uns selbst) auslachen und beschämen. Und indem wir Humor schließlich nicht mehr in seiner Reinheit wahrnehmen und verlernen, dieses herrliche Instrument zu spielen.